Sonntag, 20. Dezember 2009
Bin ich eine Klette? Bin ich ihm lästig? Diese Fragen stelle ich mir in letzter Zeit oft; vor allem, wenn ich an den Wochenenden nichts von ihm höre. Ich möchte ihm nicht auf die Nerven fallen, also halte ich nun brav die Füße still bis wir uns montags wiedersehen. Doch jetzt ist die Weihnachtszeit angebrochen. Er ist für drei Wochen verschwunden, und ich kann nur hoffen, daß mich meine Familie und Freunde genügend von ihm ablenken.




Montag, 14. Dezember 2009
Wenn ich nachrechne, wieviel Zeit uns noch bleibt – netto, nach Abzug des Weihnachtsurlaubs – kann mir das den Tag versauen. So geschah es gestern. Am Ende der Rechnung standen vier Wochen. Genau jene vier Wochen, in denen ich projektgemäß viel unterwegs sein werde.

Was kann man in vier Wochen noch reißen, dachte ich. Vor allem, wenn ich ich ständig unter Strom stehe. Und mit welcher Aussicht auf Erfolg? Mein Kopf sagt mir unmißverständlich: Es hat keine Zukunft. Mehr als eine kurze, eher erotisch als romantisch geprägte Affäre würde es nicht geben. Aber mein Herz sträubt sich verzweifelt dagegen.

Niedergeschlagen saß ich den Sonntag Nachmittag auf dem Sofa, das ich nur verließ, um auf dem Balkon zu rauchen. Ich versuchte regelmäßig, ihn am Telefon zu erreichen, doch er war nicht zuhause. In zwei Decken hatte ich mich gewickelt, aber ich zitterte noch immer am ganzen Leib. Nach drei Stunden war ich dann verzweifelt genug. Ich griff zum Hörer und wählte S.s Nummer …




Dienstag, 8. Dezember 2009
An einen erholsamen Schlaf ist nicht zu denken. Sie spuken mir beide im Kopf herum und geben mir keine Ruhe. Es ist, als zerrten sie gleichzeitig und unerbittlich an mir. Sie zerreißen mich in der Mitte, weil keiner weiß, daß auf der anderen Seite ein anderer festhält.

Mein Körper trägt meinen Seelenzustand nach außen. Fragende Blicke, besorgte Minen; ich gebe ein Trauerspiel, aber niemand kann, nein, darf mir helfen. Es ist ein selbstgewähltes Dilemma, in dem ich stecke, und aus dem ich nicht mehr herauskomme. Jede Hilfe hieße Verzicht, und verzichten will ich nicht, also steuere ich sehenden Auges hinein ins Verderben.

Irgendwann werde ich vielleicht daraus lernen. Oder das Spiel auf ewig wiederholen.




Donnerstag, 3. Dezember 2009
Es ist schon komisch mit den Gefühlen. Freitags zum Beispiel: Auf der einen Seite fühle ich mich erleichtert, wenn er früh ins Wochenende geht. Auf der anderen ist er noch keine Stunde weg, da vermisse ich ihn bereits.

Erklären kann ich dieses Paradoxon nicht. Vielleicht ist mein Antrieb, mich permanent in seinem Wahrnehmungskreis zu befinden, so anstrengend, daß ich es schon als Erleichterung empfinde, nicht in seiner Nähe zu sein. Dazu beobachte ich auch eifersüchtig, wenn er sich länger bei anderen Kolleginnen aufhält. Was für ein Unsinn! Aber Unsinn ist so verführerisch …

Nachtrag:

Heute nacht habe ich von ihm geträumt – mal wieder. Aber in diesem Traum hat er mich geküßt – endlich. Wenn es auch außerhalb der Traumwelt unmöglich ist, kann ich jetzt doch wenigstens ein klein bißchen triumphieren und gut gelaunt ins Büro fahren.




Montag, 30. November 2009
„Ich werde dieses Unternehmen verlassen.“ Heute gab er es offiziell in der ganzen Abteilung bekannt. Ich saß neben ihm, während er der großen Runde das Wann und Warum erklärte, und biß mir auf die Lippen, um die Tränen zu unterdrücken. Er schien es zu bemerken, denn als er sich den Fragen der Kollegen stellte, ergriff er unter dem Tisch meine Hand – wohl um mich zu beruhigen, doch es bewirkte gerade das Gegenteil.

Nach der Ankündigung verzogen wir uns direkt ins Raucherzimmer, wo ich mich nicht länger beherrschen konnte. Er zog sanft meinen Kopf an seine Schulter und ließ mich dort ausweinen, während seine Finger durch meine Haare und über meinen Nacken strichen. Als ich mich wieder beruhigt hatte, nahm er eine Zigarette, steckte sie mir in den Mund und zündete sie an.

„Hilft doch nichts, Chantal. Es tut mir ja leid, dich hier unter den Verrückten allein zu lassen. Aber es ist nicht zu ändern.“ Ich nickte stumm, denn sprechen konnte ich nicht. Ich muß es akzeptieren. Es ist nicht mein Leben, wonach sich seine Entscheidung richtete, sondern seines.

Warum? Warum jetzt? Warum so früh?, wollte ich fragen. Es hatte doch gerade erst begonnen, und nun hieß es bereits, Abschied zu nehmen. Nur noch ein paar Wochen, und dabei hatte ich noch so viel mit ihm tun wollen. So schön hatte ich es mir vorgestellt. Langsam und behutsam, sich Stück für Stück näher kommen, zusammen der gnadenlos nüchternen Wirklichkeit entfliehen und uns eine kleine Gefühls-Oase bauen.

Doch das sind nicht unsere, nicht seine Träume; es sind meine. Und wie es so ist mit einseitigen Träumen: Sie platzen so leicht, und dann wird man schmerzhaft wieder auf den Boden der Realität prallen.




Mittwoch, 25. November 2009
Drei Stunden geschlafen. Wobei „geschlafen“ schon ein Euphemismus ist. Ich werde im selben Zustand ins Büro kommen, in dem ich es gestern verlassen habe.

Du würdest jetzt den Kopf schütteln. „Ich hatte es dir doch gesagt“, würdest du sagen. Ja, du hattest es mir gesagt, sogar mehrfach, und es hat jedesmal ein bißchen wehgetan. Aber es war trotzdem immer so weit weg, immer nur ein „irgendwann“. Jetzt ist es wirklich geworden. Und meine Hoffnungen, auch wenn du sie zurecht illusorisch nennst, zerplatzen wie Seifenblasen.

Ich habe bemerkt, wie du gegen die Tränen kämpftest, als du es mir sagtest. Als du sahst, wie meine Reaktion meine Gefühle entlarvte. Als ich nicht mehr sprechen konnte aus Angst, meine Stimme könnte kippen. So saßen wir eine Stunde lang im Dunkeln, und bis auf ein „hm“ hier und ein „tja“ da schwiegen wir und starrten die kalten Wände an. Eine Zigarette nach der anderen holte ich aus der Schachtel und rauchte sie, obwohl mir längst schlecht davon war.

Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis ich es akzeptieren werde. „Bitte geh nicht“, habe ich geflüstert, als wir uns zum Abschied umarmten, aber so leise, daß du es nicht hören konntest. Ich kann jetzt noch nicht darüber nachdenken, wie es ohne dich weitergehen wird. Nachdenken fällt mir gerade sehr, sehr schwer.

In zwei Stunden werden wir uns wiedersehen. Ich hoffe, ich werde dir dann in die Augen sehen können.




Samstag, 21. November 2009
Das Herz tut seltsame Dinge. In einem Moment zaubert es ein seliges Lächeln auf die Lippen. Im nächsten treibt es die Tränen in die Augen. Wunderschöne Erinnerungen werden urplötzlich schmerzhaft vermißt. Dazwischen bleibt kaum Zeit, sich zu erholen.

Die Zeit wird wohl auch diese Wunde heilen, irgendwann, wenn ich mich daran gewöhnt habe, daß ich ihn nicht mehr sehe, er nicht mehr neben mir sitzt, wir nicht mehr albern von Schreibtisch zu Schreibtisch telefonieren, wir nicht mehr abends alleine im dunklen Raucherzimmer sitzen, meine Knie zwischen seinen. Er wird eine große Leere in mir hinterlassen, die niemand füllen kann. Und die Angst davor zerbricht mich.

Gerade an den Wochenenden. An jedem dieser ruhigen Tage, an denen ich mich von der Arbeitswoche erholen sollte, sterbe ich diesen kleinen Tod. Und kralle mich verzweifelt an allem fest, das Leben verspricht, und sei es auch so winzig.




Freitag, 13. November 2009
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7
Right face wrong time, she's sweet
(But I don't wanna fall in love)
Too late, so deep, better run cause
(but I don't wanna fall in love)
Can't sleep, can't eat, can't think straight
(I don't wanna)
She Wants Revenge - I Don't Want To Fall In Love




Donnerstag, 12. November 2009
„Du bist aber früh heute.“ L. sieht mich überrascht an. Kein Wunder, normalerweise komme ich erst gegen 18 Uhr nach Hause. „O. hat kein Taxi mehr bekommen, also hab ich ihn schnell zum Bahnhof gefahren. Und danach hatte ich keine Lust mehr, zurück ins Büro zu gehen.“ Skeptisch zieht er die Augenbrauen hoch. Ich antworte mit Augenrollen. „Für ihn tust du wohl alles …“ Er sagt nichts weiter, doch ich kann seine Gedanken erahnen. Wie kann man wegen einer Harmlosigkeit eifersüchtig werden, denke ich. Doch so harmlos ist es vielleicht doch nicht.

Vor drei Wochen änderte sich etwas in mir, und seither vergeht kein Tag, an dem ich nicht darüber grüble, was es wohl war. Es kam so plötzlich, daß ich in ihm nicht mehr nur den lieben Kollegen sah. Mit ihm bin ich schon so oft – beruflich – durch dick und dünn gegangen, mit ihm verstehe ich mich blind, er vertraut mir viel mehr aus seinem Leben an als sonst jemandem in der Abteilung, und auch er weiß bereits sehr viel über mich. Ich genieße es, zu ihm zu gehen, wenn mir die Arbeit über den Kopf wächst. Dann setze ich mich neben ihn, sehe ihm zu und lausche seiner Stimme, während er mir erklärt, was er gerade tut. Und ich entspanne dabei.

Das hat sich jetzt geändert. Zwei Wochen lang wußte ich nicht, was mit mir los war. Ich war plötzlich aufgeregt, wenn ich nur daran dachte, ihn wiederzusehen. Ich wurde eifersüchtig, wenn er mit jemand anderem rauchen ging und mich nicht fragte, ob ich mitkommen wolle. Ich hatte in der Mittagspause plötzlich keinen Appetit und ließ die Hälfte des Essens auf dem Teller. Ich bekam ein schlechtes Gewissen für alle Zusagen, ich ich ihm je gab und die ich nie hielt – weil mir die Zeit fehlte und sie irgendwann aus meinem Kopf verschwanden.

Inzwischen weiß ich, was passierte. Ich habe mich verliebt. Ich weiß nur nicht, wie oder warum, und das macht mich verrückt. Aber ich kämpfe nicht mehr dagegen an. Es scheint mein Schicksal zu sein, mich in vergebene Männer zu verlieben. Aus einem wurde mein bester Freund. Vielleicht wird aus dem anderen mein zweitbester. Mehr zu erwarten wäre unrealistisch, weniger unnötig pessimistisch. Jetzt muß ich nur noch einen Weg finden, die nächsten drei Tage, an denen er nicht hier ist, ohne Sehnsuchtsdrama zu überstehen.




Dienstag, 10. November 2009
Es ist wie Frühling. Barfuß und mit geschlossenen Augen tanze ich durchs Zimmer, drehe mich ausgelassen im Kreis. Mein Herz pocht wie wild, meine Gefühle überschlagen sich, meine Welt steht Kopf. Die Ängste von gestern nacht sind verflogen, du hast sie mit deinem Lächeln weggezaubert. Dein Lächeln, das heute nur mir zu gelten schien.

Vor zwei Wochen sagtest du mir nur beiläufig, wie gut wir doch zusammen passten. Dieser Satz geht mir seitdem nicht mehr aus dem Sinn. Du spukst mir im Kopf herum, vom Moment an wenn ich morgens aufstehe, bis abends wenn ich mit dem letzten Gedanken, den ich fassen kann, einschlafe.

Ich fühle mich so gut, wenn du bei mir bist. Selbst wenn wir nur zusammen in der Pause am Tisch sitzen und rauchen und reden. Der Abend gestern war ein unvergeßlicher Höhepunkt, und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als ihn bald zu wiederholen.

Du machst mich süchtig nach dir. Ich vermisse dich.