Vor kurzem stand ich in der Lebensmittelabteilung vor den Weinregalen, als ich mich umsah und einen früheren Bekannten meiner Eltern entdeckte. Er saß an der Theke des kleinen Bistros nebenan und trank Bier. Unsere Blicke trafen sich kurz, doch dann redete er weiter mit seiner Thekennachbarin. Er hatte mich wohl nicht erkannt; oder wollte mich nicht erkennen.

Ich erinnere mich noch gut an ihn. Er führte ein kleinbürgerliches Leben in einem ländlichen Dorf, zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen. Es schien eine der üblichen Ehen auf dem Lande zu sein, weder romantisch noch zerstritten. Doch der Schein trügte. Als sie während eines Mittelmeerurlaubs ihren ältesten Sohn bei einem Taucherunfall verloren, zerbrach ihre Ehe in kürzester Zeit.

Damals nahm ich die Ereignisse nur beiläufig zur Kenntnis. Doch als ich ihn mit hängenden Schultern an der Theke sitzen sah, wie er sich mit einer noch älteren Frau unterhielt, die ebenfalls den Eindruck machte, in ihrem Leben gescheitert zu sein, da fühlte ich Mitleid mit ihm. Und für einen Moment sah ich mich selbst als alte, im Leben gescheiterte Frau an dieser Theke sitzen und mich mit Männern wie ihm unterhalten. Ich drehte mich schnell zum Regal um und wählte einen Merlot.





slyboots, Freitag, 25. April 2008, 13:27
Eine gute Wahl.