Donnerstag, 24. Dezember 2009
Es ist wie gegen sich selbst Schach zu spielen und dabei jedesmal zu verlieren. In diesen Momenten kann ich die Menschen verstehen, die sich in der Weihnachtszeit das Leben nehmen.

Dennoch: Ich wünsche allen ein ruhiges und schönes Weihnachtsfest. Und mögen die wichtigsten Wünsche in Erfüllung gehen.




Dienstag, 1. Dezember 2009
Heute ausnahmsweise einmal keine mittleren Gefühlskatastrophen. Viel Blickkontakt, viele Gespräche, wenige Zigaretten. „Du rauchst viel zu viel, das tut dir nicht gut“, schimpfte er. Er nahm sie mir aus dem Mund und rauchte sie selbst zuende. Es ist albern, aber ich fühlte mich gut dabei.

Jetzt liege ich auf dem Bauch und warte auf zwei Hände, die mich gleich sanft in den Schlaf massieren werden. Gute Nacht.




„Such dir doch einen Job hier in der Gegend“, meinte er. „Dort gibt's auch ganz schöne Wohnungen.“ Ich funkelte ihn aus den Augenwinkeln an. „Klar, soweit kommt's noch, daß ich dir hinterherlaufe.“ Wir lachten. Es war ein seltsames Lachen, denn eigentlich war mir nicht zum Lachen zumute; trotzdem war es ehrlich.

Er umarmte mich noch einmal. „Alles wird gut“, flüsterte er mir ins Ohr. Du Schwätzer, dachte ich, gar nichts wird gut. Aber was kann ich machen? Ich genoß die Sekunden in seinen Armen. Für einen winzigen Moment fühlte ich mich sicher.

„Wir sehen uns morgen.“ Mit diesen Worten ließ er mich los, und wir verabschiedeten uns. Ich drehte mich zu meiner Autotür um und suchte den Schlüssel in meiner Handtasche. Er kam nochmal zurück und gab mir einen Klaps auf den Hintern. „Hey“, protestierte ich. „Schlaf gut“, lachte er. Seine Macho-Allüren werde ich auch vermissen.

Als ich zuhause war, rief L. gerade an. „Du klingst nicht gut, soll ich vorbeikommen?“ Sollte ich ihn wirklich herbitten? Wenn er meine verweinten Augen sähe, würde er Fragen stellen, und das Theater vom Wochenende ginge wieder los. Trotzdem sagte ich ja. Dann mußte ich mich eben zusammenreißen. „Ich bin noch unterwegs, wird bißchen später, aber ich komme.“

Während ich auf ihn wartete, würgte ich ein Stück Brot mit Gurke herunter. Der Appetit war mir vergangen. S. war nicht zuhause, A. auch nicht. Es wurde zehn. Ich war müde von der Anspannung und vom Heulen. Das Notebook klappte ich zu, zog mich aus und legte mich ins Bett. Ich konnte nicht länger warten.

Mitten in der Nacht schreckte ich kurz aus dem Schlaf. Als ich neben mich griff, spürte ich L.s Körper. Er war also doch noch gekommen. Beruhigt schlief ich wieder ein. Alles wird gut.




Freitag, 27. November 2009
Als ich auf die Uhr sah, erschrak ich: vier Uhr. Die letzten Tage über wachte ich erst gegen halb sechs auf und quälte mich eine halbe Stunde lang im Bett, bis endlich der Wecker klingelte. Aber vier Uhr? Ich versuchte, noch einmal einzuschlafen, aber es war vergebens – zuviel schwirrte mir durch den Kopf.

Auch mein Körper rebelliert. Ich rauche zuviel und esse zuwenig, vom Trinken ganz zu schweigen. Meine Kollegen sehen mich besorgt an, und auch O. schimpft mich: „Du, die Diät tut dir nicht gut. Laß das mal sein, du siehst echt abgemagert aus.“ Aber es ist keine Diät, es ist Appetitlosigkeit. Streß und Kummer lassen mich nur noch aus Haut und Knochen bestehen. Morgens kann ich im Spiegel meine Rippen und Beckenknochen sehen, ein widerlicher Anblick; und je mehr ich diesen fürchte, umso weniger kann ich essen.

L. habe ich seit Tagen nicht gesehen. Er ist abends viel mit Kollegen oder Freunden unterwegs und nutzt die Zeit, bevor der Weihnachtsrummel losgeht. Früher nahm er mich auf solche Touren mit, manchmal jeden Abend, und morgens mußte ich mir die dunkeln Augenringe wegschminken, bevor ich ins Büro fahren konnte. Genossen habe ich es trotzdem jedesmal, obwohl es auf Dauer anstrengend war.

Heute vermisse ich das. Bis ich abends nach Hause komme, ist L. längst unterwegs. Außerdem bin ich gerade kein besonders schöner Anblick, und diese Abende würden mich nur noch kaputter machen. Also bleibt mir nichts anderes, als alleine zuhause zu bleiben und aufs Wochenende zu hoffen.

S. sagte, ich dramatisiere. Er bot an, mit zwei Flaschen Glühwein bewaffnet vorbeizukommen und mir ein wenig Gesellschaft zu leisten. Ich lehnte ab. Es war das erstemal, daß ich ihm einen Korb gab – ihm, meinem Ritter, dem ich bisher für so ein Angebot die Füße küßte. Aber ich traute mich ihm nicht unter die Augen, wollte mich ihm nicht so zeigen. Er war so überrascht, daß er minutenlang schwieg, während ich ihm mühselig eine Ausrede nach der anderen präsentierte.

Was wohl das Wochenende bringen wird? An etwas schönes oder entspannendes wage ich nicht zu hoffen. Ich überstehe keine weitere Enttäuschung mehr.




Donnerstag, 26. November 2009
Es ist verrückt. Je mehr ich versuche, meine Gefühle zu verstecken, umso offensichtlicher treten sie zutage. Objektiv betrachtet muß ich bekloppt sein. Ich gleiche mich ihm täglich mehr an. Ich bin beim Frühstück von Kaffee auf Tee umgestiegen, rauche seine Marke, esse (fast) das gleiche in der Kantine. Wir gehen mittlerweile immer etwas später essen als die Kollegen und stellen dabei fest, daß wir an ihrem Tisch keinen Platz mehr finden; so sitzen wir seit über einer Woche allein an einem separaten Tisch.

„Ihr eßt das gleiche und sitzt immer woanders. Ihr spaltet euch ab!“ warf uns ein lieber Kollege vor. Aber ich kann es nicht ändern. Ich hänge an ihm wie eine Klette, wie mit Saugnäpfen, damit mir keine Gelegenheit entgeht, bei ihm zu sein. Lange wird das sicher nicht gutgehen; die bin nur noch mit dem halben Kopf bei der Arbeit, und selbst dann gehen meine Gedanken oft auf Wanderschaft.

„Ich werde dich schrecklich vermissen“, sagte ich ihm als wir kurz allein waren. „Ich dich auch, ich werde dich auch vermissen“. Wir sahen uns traurig an. „Stell dir vor“, sagte er dann mit einem gequälten Lächeln, „so ein Typ wie H. bekommt dann meine Stelle.“ Allein die Vorstellung versetzte mir einen Stich. „Dann kündige ich auch“, antwortete ich. „Oder ich drehe durch und komme in die Anstalt. Dann mußt du regelmäßig zu Besuch kommen und mich im Rollstuhl durch den Park schieben.“

S. sagte, ich müsse immer damit rechnen, daß ein Kollege einmal gehen wird. Das ist der Lauf der Dinge. Und es würde schon irgendwie weitergehen, auch ohne ihn. Und ich solle nicht soviel heulen, das würde auch nichts ändern und dehydriere nur.

„Was macht eigentlich L.?“ fragte er, um das Thema zu wechseln. „Sitzt zuhause und schmollt, denke ich.“ Mein Versuch, es mit Zynismus herunterzuspielen, ging schief; ich konnte fast hören, wie seine Alarmglocken schrillten. „Willst du darüber reden?“ „Nicht jetzt“, wimmelte ich ab. „Ich werde gleich mit ihm reden, das wird schon. Hatte in letzter Zeit eben sehr wenig Zeit für ihn.“ „Verstehe“, sagte S. Er verstand wohl nur zu gut. Für ihn bin ich wie ein offenes Buch.




Montag, 23. November 2009
Streit. Alpträume. Verlustängste. Jetzt eine anstrengende Woche. Es kommt alles zusammen, wie immer. Der Wecker klingelt zum zweitenmal, und ich sitze noch mit angezogenen Beinen und unfähig, mich zu bewegen, auf dem Bett.

Einerseits könnte ich mir Zeit lassen. Die Gleitzeitregelung erlaubt das, und in einer Woche werden die Stunden auf meinem Konto sowieso verfallen. Außerdem kommt er, auf den ich mich Tag für Tag freue, montags später ins Büro, also gibt es erst recht keinen Grund zur Hektik.

Andererseits stapeln sich auf meinem Schreibtisch die Problemfälle, und sie werden sicher nicht weniger, wenn ich sie mit Gelassenheit ignoriere. Es ist, als kämpfte ich gegen eine Hydra – sobald ein Problem beseitigt ist, tauchen zwei neue auf.

„Morgen abend mußt du mir helfen“, sagte L. gestern am Telefon. Und er wurde unglaublich sauer, als ich ihm sagte, es würde wahrscheinlich wieder so spät werden wie letzte Woche. „Bist du eigentlich mit mir zusammen oder mit deiner Arbeit? Ständig kommst du spät nach Hause, und dann ist nichts mehr mit dir anzufangen.“ Und nach einer Pause: „Bist du eigentlich wirklich so lange im Büro? Oder sagst du mir das nur?“

Das ist die nächste Stufe der Eskalation: Eifersucht und Mißtrauen. Irgendjemand mit viel Einfluß auf mein Leben scheint mich grenzenlos zu hassen. Ich war so erschrocken, daß ich einfach auflegte. Es muß sich dringend etwas ändern, sonst entgleitet mir mein Leben völlig.




Mittwoch, 4. Februar 2009
Gestern saß ich also beim Mexikaner, zusammen mit den netten Kollegen. Einer davon hielt sich für besonders nett und begann, sich vom scharfen Essen anschärfen zu lassen – der Alkohol beschleunigte diesen Prozess nur noch. Und je später der Abend wurde, desto mehr rückte er mir auf die Pelle.

Nicht, dass er unter normalen Umstände kein Interesse bei mir geweckt hätte. Doch manche Männer scheinen nicht zu verstehen, dass ein One-Night-Stand unter Kollegen ein No-Go ist. Schon zweimal, wenn das Objekt ihrer Begierde ihre Vorgesetzte ist.

So endete es mit einem etwas unsanften Korb. Mal sehen, ob er heute noch mit mir spricht.




Montag, 2. Februar 2009
Ich möchte eigentlich gar nicht so viel negatives schreiben. Es ist auch nicht so, als gäbe es nichts positives in meinem Leben. Und gerade diese kleinen, schönen Dinge sind es, die mich diese schlimme Zeit durchstehen lassen. Nur werden die Sonnenstrahlen in meinem Kopf nur allzu schnell wieder durch die große Gewitterwolke zwischen mir und L. verdeckt.

Dennoch: Es gibt sie, die Lichtblicke, und sie sollen natürlich auch zu ihrem Recht kommen.

Mein Chef war am Freitag sehr begeistert darüber, dass ich ihm seine letzten Tage in dieser Abteilung erleichtert habe. Als er sich von mir verabschiedete, hatte er feuchte Augen und flüsterte mir ein „werd dich vermissen“ ins Ohr. Ich dich auch, Lieblingschef.

Am Wochenende war mein liebster S. Strohwitwer, und weil er nichts besseres zu tun hatte, kümmerte er sich zwei Tage lang um mich. Er zog das volle Programm auf, wir waren permanent unterwegs, es war so toll und so viel, dass ich mich heute schon wieder urlaubsreif fühle. Es ist vielleicht doch nicht so falsch, dass er nicht mein Mann ist – ich besitze schlichtweg nicht genug Energie für ihn.

Meine lieben Kollegen laden mich morgen Abend zum Essen ein. „Ich habe doch gar nicht Geburtstag“, protestiere ich. Sie lächeln nur. Morgen dann beim Mexikaner.




Montag, 17. November 2008
Winter ist eine schreckliche Zeit. Morgens fahre ich im halbdunkeln zur Arbeit, abends im dunkeln nach Hause. Die Fahrt dauert nur 20 Minuten, aber sie führt mich über eine längere eintönige Strecke, auf der die Gedanken abschweifen. Was wäre, wenn ich in voller Fahrt einfach das Lenkrad herumreißen würde? Nach links in den Gegenverkehr. Nach rechts in die Baumreihe. Würde es weh tun? Oder würde ich endlich Ruhe finden?




Samstag, 15. November 2008
Seltsame Zeiten brechen an. Die Tage werden kürzer, die Dunkelheit dominiert mein Leben. Nacht für Nacht träume ich wilder. Tagsüber ist mir der Wahnsinn näher als die Normalität. Die Zeit zieht so schnell an mir vorbei, und es gelingt mir nicht, die auf meine Geschwindigkeit zu bremsen. Irgendwann werde ich aufwachen und feststellen, dass mein Leben vorbei ist.