Es ist verrückt. Je mehr ich versuche, meine Gefühle zu verstecken, umso offensichtlicher treten sie zutage. Objektiv betrachtet muß ich bekloppt sein. Ich gleiche mich ihm täglich mehr an. Ich bin beim Frühstück von Kaffee auf Tee umgestiegen, rauche seine Marke, esse (fast) das gleiche in der Kantine. Wir gehen mittlerweile immer etwas später essen als die Kollegen und stellen dabei fest, daß wir an ihrem Tisch keinen Platz mehr finden; so sitzen wir seit über einer Woche allein an einem separaten Tisch.

„Ihr eßt das gleiche und sitzt immer woanders. Ihr spaltet euch ab!“ warf uns ein lieber Kollege vor. Aber ich kann es nicht ändern. Ich hänge an ihm wie eine Klette, wie mit Saugnäpfen, damit mir keine Gelegenheit entgeht, bei ihm zu sein. Lange wird das sicher nicht gutgehen; die bin nur noch mit dem halben Kopf bei der Arbeit, und selbst dann gehen meine Gedanken oft auf Wanderschaft.

„Ich werde dich schrecklich vermissen“, sagte ich ihm als wir kurz allein waren. „Ich dich auch, ich werde dich auch vermissen“. Wir sahen uns traurig an. „Stell dir vor“, sagte er dann mit einem gequälten Lächeln, „so ein Typ wie H. bekommt dann meine Stelle.“ Allein die Vorstellung versetzte mir einen Stich. „Dann kündige ich auch“, antwortete ich. „Oder ich drehe durch und komme in die Anstalt. Dann mußt du regelmäßig zu Besuch kommen und mich im Rollstuhl durch den Park schieben.“

S. sagte, ich müsse immer damit rechnen, daß ein Kollege einmal gehen wird. Das ist der Lauf der Dinge. Und es würde schon irgendwie weitergehen, auch ohne ihn. Und ich solle nicht soviel heulen, das würde auch nichts ändern und dehydriere nur.

„Was macht eigentlich L.?“ fragte er, um das Thema zu wechseln. „Sitzt zuhause und schmollt, denke ich.“ Mein Versuch, es mit Zynismus herunterzuspielen, ging schief; ich konnte fast hören, wie seine Alarmglocken schrillten. „Willst du darüber reden?“ „Nicht jetzt“, wimmelte ich ab. „Ich werde gleich mit ihm reden, das wird schon. Hatte in letzter Zeit eben sehr wenig Zeit für ihn.“ „Verstehe“, sagte S. Er verstand wohl nur zu gut. Für ihn bin ich wie ein offenes Buch.