Als ich auf die Uhr sah, erschrak ich: vier Uhr. Die letzten Tage über wachte ich erst gegen halb sechs auf und quälte mich eine halbe Stunde lang im Bett, bis endlich der Wecker klingelte. Aber vier Uhr? Ich versuchte, noch einmal einzuschlafen, aber es war vergebens – zuviel schwirrte mir durch den Kopf.

Auch mein Körper rebelliert. Ich rauche zuviel und esse zuwenig, vom Trinken ganz zu schweigen. Meine Kollegen sehen mich besorgt an, und auch O. schimpft mich: „Du, die Diät tut dir nicht gut. Laß das mal sein, du siehst echt abgemagert aus.“ Aber es ist keine Diät, es ist Appetitlosigkeit. Streß und Kummer lassen mich nur noch aus Haut und Knochen bestehen. Morgens kann ich im Spiegel meine Rippen und Beckenknochen sehen, ein widerlicher Anblick; und je mehr ich diesen fürchte, umso weniger kann ich essen.

L. habe ich seit Tagen nicht gesehen. Er ist abends viel mit Kollegen oder Freunden unterwegs und nutzt die Zeit, bevor der Weihnachtsrummel losgeht. Früher nahm er mich auf solche Touren mit, manchmal jeden Abend, und morgens mußte ich mir die dunkeln Augenringe wegschminken, bevor ich ins Büro fahren konnte. Genossen habe ich es trotzdem jedesmal, obwohl es auf Dauer anstrengend war.

Heute vermisse ich das. Bis ich abends nach Hause komme, ist L. längst unterwegs. Außerdem bin ich gerade kein besonders schöner Anblick, und diese Abende würden mich nur noch kaputter machen. Also bleibt mir nichts anderes, als alleine zuhause zu bleiben und aufs Wochenende zu hoffen.

S. sagte, ich dramatisiere. Er bot an, mit zwei Flaschen Glühwein bewaffnet vorbeizukommen und mir ein wenig Gesellschaft zu leisten. Ich lehnte ab. Es war das erstemal, daß ich ihm einen Korb gab – ihm, meinem Ritter, dem ich bisher für so ein Angebot die Füße küßte. Aber ich traute mich ihm nicht unter die Augen, wollte mich ihm nicht so zeigen. Er war so überrascht, daß er minutenlang schwieg, während ich ihm mühselig eine Ausrede nach der anderen präsentierte.

Was wohl das Wochenende bringen wird? An etwas schönes oder entspannendes wage ich nicht zu hoffen. Ich überstehe keine weitere Enttäuschung mehr.





die architektin, Samstag, 28. November 2009, 22:42
Ich muss dir sagen: mich berühren deine Texte sehr, denn sie drücken einfach, ehrlich und doch subtil aus, was eine Fraue empfindet, die ihre Gefühle nicht erwidert bekommt. Ich habe das Gleiche soeben durchgemacht und bin immer erstaunt über Andere, die ehrlich ausdrücken können was sie fühlen, denn ich unterdrücke es immer ganz gerne.
Also DANKE und weiter so!

badlydrawngirl, Sonntag, 29. November 2009, 12:05
Ich habe meine Gefühle früher auch immer unterdrückt, bis mir ein guter Freund sagte: Zuerst muß ich sie mir selbst eingestehen, das ist das wichtigste. Erst dann wäre ich fähig, offen und ehrlich dazu zu stehen und darüber zu reden. Idealerweise mit dem, den es betrifft.

Danke für deine Worte. Ich werde dich auf dem Laufenden halten.