Montag, 7. Dezember 2009
So viel passiert, aber so wenig konstruktives. Es hat am Freitag abend begonnen und erst heute nacht aufgehört. Zu lachen gab es kaum etwas, vielleicht die eine oder andere SMS. Zu weinen dafür eine ganze Menge. Zu fluchen noch mehr. Wut, Traurigkeit, Verzweiflung und Resignation haben die letzten Tage bestimmt. Ich kann nicht mehr. Es ist Montag morgen, und ich bin sowas von wochenendreif.




Freitag, 4. Dezember 2009
„Und dich sehe ich als Projektleiterin.“ Zunächst war ich erfreut. Wieder ein neues Projekt, und ein spannendes noch dazu. Das Projektteam bestand zwar hauptsächlich aus Dienstleistern und Menschen, mit denen ich nicht so gern zusammenarbeite. Aber die würde ich schon in den Griff bekommen.

„Wir werden die aber nicht alle hier unterkriegen. Das heißt, du wirst wohl nur zwei Tage die Woche hier sein und den Rest bei der Agentur und dem Dienstleister. Evtl. auch häufiger.“ Ich schluckte. Das Projekt sollte in den letzten beiden Monaten laufen, in denen O. noch hier war. Das bedeutete, ich würde ihn kaum noch sehen können. Gerade jetzt, wo ich ohne ihn kaum übers Wochenende komme. Ich leide unter dem Gefühl, nicht mehr genug Zeit mit ihm verbringen zu können. Und nun wird selbst das bißchen, was mir bleibt, gekürzt.

„OK“, sagte ich nach einer kurzen Pause. Was hätte ich auch sonst sagen sollen? Nein? Mach ich nicht mit? Mit hängenden Schultern fuhr ich nach Hause. O. hatte mich gebeten, ihn anzurufen und zu erzählen, wie es gelaufen war. Ich rief ihn an, aber von der Aussicht, ständig unterwegs zu sein, erzählte ich nichts. Ich halte mich an der Hoffnung fest, daß es letztendlich doch anders kommen kann. Mit Email und Telefon. Zu irgendwas muß das ja gut sein.




Mittwoch, 2. Dezember 2009
„Rauchst du wieder?“, fragte er. „Nein“, antwortete ich und drehte meinen Kopf zur Seite. In die Augen konnte ich ihm dabei nicht sehen. „Komisch, du riechst aber ganz schön nach Rauch.“ Ich spürte, wie meine Stirn heiß wurde.

Als L. wegen seines Gewichts auf die Idee gekommen war, wieder zu rauchen, hatte ich wie wild protestiert. Und als er sich nicht davon abbringen lassen wollte, erpreßte ich ihn. „Ich knutsche doch nicht mit einem Aschenbecher“, hatte ich gesagt. „Du hast doch selbst mal geraucht“, hatte er erwidert. „Und bin froh, daß ich's nicht mehr tue.“ L. war Nichtraucher geblieben. Aber ich hatte wenige Wochen wieder angefangen.

„Ich geh mit den Rauchern in die Pause“, sagte ich. Ich konnte ihm noch immer nicht in die Augen blicken. „Da krieg ich den ganzen Rauch ab.“ Ich wußte, ich hatte bereits verloren. L. seufzte. „Und dabei kaust du natürlich nur Kaugummi.“ Und nach einer Pause: „Denkst du, ich merk das nicht? Deine Klamotten riechen nach Rauch, deine Haare, deine Hände. Und wenn ich dich küsse …“

Ich starrte auf meine Finger und flüsterte gequält ein „tut mir leid“. Er zog die Augenbrauen hoch, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Dafür schuldest du mir was.“ Was ich ihm schuldete, ließ er offen. Das war vor einem halben Jahr. Schuldig fühle ich mich noch immer.




Sonntag, 29. November 2009
Glühwein-Party bei L.s Kollegen. Ich hatte mich gefreut, endlich wieder unter Menschen zu kommen. Ich hatte gehofft, es würde mich auf andere Gedanken bringen. Doch das tat es nicht. Die Stereoanlage spielte mit voller Lautstärke, doch in meinem Kopf kam etwas ganz anderes an.

Unserem Gastgeber fiel meine schlechte Stimmung auf, und er kam entschlossen mit zwei Gläsern Glühwein auf mich zu, um mich aufzuheitern. Der Alkohol wirkte schnell, ich war ja nichts mehr gewohnt. M. schenkte fleißig nach und prostete mir zu, bis ich förmlich glühte und fürchterlich albern wurde. Allerdings war L. das Spektakel nicht entgangen.

„Du hast dich geradezu abfüllen lassen“, warf er mir vor, nachdem sein Geduldsfaden gerissen war. Er hatte mich am Handgelenk gepackt und vom Sofa in den Flur gezogen. „Du hast es auch nicht verhindert“, barschte ich ihn an. Ich riß mich von ihm los. „Außerdem brauche ich keinen Vormund, der mir sagt, was ich zu tun und zu lassen habe.“

L. kochte vor Zorn. Seine Hände umgriffen wieder meine Handgelenke. „Wir gehen“, befahl er. Durch die Mischung aus Alkohol und Wut über diese peinliche Szene war mir schlecht geworden, also gehorchte ich. Wenn L. eifersüchtig ist, ist jedes Diskutieren sowieso sinnlos. Als er mich durch die Tür schob, fragte ich mich kurz, ob O. auch so reagiert hätte. Aber das spielte jetzt keine Rolle.

Während L. mich nach Hause fuhr, grübelte ich, ob er zurecht eifersüchtig war. Auf der Party war seine Reaktion sicherlich überzogen. Aber wegen O. bekam ich ein schlechtes Gewissen. Vielleicht bin ich es ja, die L. erst soweit bringt, daß er sich nicht mehr unter Kontrolle hat. Ich weiß es nicht. Ich schlief irgendwann in seinem Wagen ein.

Nachtrag:

Wir haben uns heute am Telefon ausgesprochen. Es herrscht jetzt wieder offizieller Waffenstillstand. Mein Gewissen plagt mich aber noch immer. An schlafen ist noch nicht zu denken. Wenn ich an morgen denke, fängt mein Herz wie wild an zu pochen.




Mittwoch, 25. November 2009
Ich bin ein egoistisches, selbstmitleidiges Biest. Egoistisch, weil ich im Schicksal anderer nur die Nachteile für mich sehe. Selbstmitleidig, weil ich mich darum jetzt in den Schlaf weinen werde. Biest, weil ich jedem, der mich dafür kritisiert, die Krallen zeige.

Ich liege auf dem Bauch, die Augen verbunden und die Hände auf dem Rücken gefesselt. So möchte ich bleiben, bis der Schmerz verstummt ist und ich mich wieder unter die Menschen traue.

Ich weiß gar nicht mehr, was ich hier schreibe.




Sonntag, 22. November 2009
Die Stunden vergehen. Jetzt ist schon wieder Sonntag abend, das Wochenende so gut wie vorbei. Viel getan habe ich nicht. Ich bin spät aufgestanden, habe mich gar nicht erst angezogen, im Nachthemd einen Kuchen gebacken, ohne Nachthemd in der Wanne gelegen, und ansonsten bin ich nur hin und her gelaufen oder auf dem Sofa gesessen und Löcher in die Luft gestarrt. Haushalt? Fehlanzeige. Essen? Keinen Appetit. Der Kuchen war für L. gedacht, ein Stück habe ich probiert, die Hälfte liegt noch vorwurfsvoll auf dem Teller.

Von L. habe ich seit gestern abend keinen Ton gehört. Erreichbar war er weder zuhause noch auf dem Mobiltelefon. Auf meine SMS reagierte er nicht. Soweit nichts ungewöhnliches (für L.), doch was mich stutzig macht: Wir hatten uns doch gar nicht gestritten. Es ist jetzt bald 24 Stunden her, daß wir zuletzt telefonierten, und langsam suche ich nervös im Web nach Unfallmeldern. Doch das ist gar nicht so einfach, wenn ich doch gar nicht weiß, wohin er vielleicht gefahren sein könnte. Letztendlich muß wieder mein Zwangsoptimismus über die Bauchschmerzen hinweghelfen.

Morgen ist Montag. Ich darf gar nicht daran denken, was letzte Woche liegengeblieben ist und morgen auf mich warten wird. In den letzten Tagen mehren sich die Träume von der Arbeit. Noch sind es keine Alpträume, aber anstrengend sind sie schon. Heute nacht massierte mir ein überbesorgter Kollege die Füße, das könnte ruhig öfter passieren. Ansonsten sind es die üblichen Ich-ergebe-keinen-Sinn Geschichten, die mir nachts durch den Kopf flattern.

Und jetzt lege ich mich so wie ich bin und mit zwei Telefonen bewaffnet ins Bett und warte, bis ich entweder von L. oder durch den Schlaf erlöst werde.




Freitag, 13. November 2009
„Ich melde mich, wenn ich wach bin“, sagte er gestern. Es gab keinen Grund daran zu zweifeln, ich wußte sogar, daß er ziemlich lange ausschlafen würde. Trotzdem starrte ich den ganzen Morgen auf seinen leeren Platz. Mehrfach griff ich zum Hörer und legte ihn doch gleich wieder auf. Ich wollte ihn nicht aus dem Schlaf reißen, hatte er doch gesagt, daß er die ganze Nacht auf bleiben würde. „Geduld“, sagte ich mir, „hab einfach Geduld. Er wird schon anrufen.“

Er wird schon anrufen. Der Satz hallte plötzlich mit einem gewaltigen Echo durch meinen Kopf. Ich kannte ihn, ich hatte ihn schon oft gehört, ihn selbst zu mir gesagt. Erinnerungen an D. schwappten mir durch den Kopf, ich sah mich unruhig in meiner alten Wohnung auf- und abgehen, wie eine Löwin, die ihr junges vermißt. Alle paar Minuten hatte ich D.s Nummer gewählt, nervös abgewartet und dann wieder aufgelegt, sobald die Mailbox ansprang.

„Nein“, sagte ich zu mir, „so ist er nicht. Er ist nicht wie D. Hör auf nachzudenken.“ Doch meine Gedanken hatten sich längst selbständig gemacht. Was, wenn er sich wirklich nicht melden würde? Dürfte ich ihn anrufen? Hätte er vielleicht einen guten Grund, und würde ich ihn nur stören? Wäre er dann sauer auf mich? „Denk an was anderes, Mensch!“

Nach dem Mittagessen blinkte die Anrufer-Anzeige an meinem Telefon. Es war seine Nummer. Ich setzte mich mit einem erleichterten Seufzen und drückte auf „Rückruf“. Er hatte tatsächlich so lange geschlafen. Anschließend war die Unruhe wie weggeblasen, doch ein Wermutstropfen blieb. Eine alte, längst verheilt geglaubte Wunde war wieder aufgerissen.




Montag, 9. November 2009
„Und L. so?“ „Einmal mehr am Telefon gestritten. Hat einfach aufgelegt. Ich zähle schon nicht mehr mit.“




Donnerstag, 29. Januar 2009
Heute Nacht träumte ich von dir. Du warst auf einem Seminar in Hamburg. Ich rief dich an, doch meine sorgfältig vorbereitete Liebeserklärung verpuffte, als stattdessen eine fremde Frau dein Telefon abnahm. Du hättest jetzt keine Zeit, sagte sie.

Ich fuhr stundenlang mit dem Zug, schlich mich ins Hotel und in dein Zimmer, nur um dich zu sehen. Du saßt auf dem Bett, chic angezogen, und sagtest, du hättest keine Zeit.

Ich schlich mich, verkleidet als Kellnerin, in den Saal, in dem du mit Kollegen das Seminarende feiertest, und bemühte verzweifelt um deine Aufmerksamkeit. Am Ende nahm ein Kind mich bei der Hand und führte mich zur Tür hinaus.




Samstag, 24. Januar 2009
Wenn ich mich aus der Perspektive eines außenstehenden sehe, frage ich mich schon, ob ich noch ganz normal bin.