Mittwoch, 2. Dezember 2009
„Rauchst du wieder?“, fragte er. „Nein“, antwortete ich und drehte meinen Kopf zur Seite. In die Augen konnte ich ihm dabei nicht sehen. „Komisch, du riechst aber ganz schön nach Rauch.“ Ich spürte, wie meine Stirn heiß wurde.

Als L. wegen seines Gewichts auf die Idee gekommen war, wieder zu rauchen, hatte ich wie wild protestiert. Und als er sich nicht davon abbringen lassen wollte, erpreßte ich ihn. „Ich knutsche doch nicht mit einem Aschenbecher“, hatte ich gesagt. „Du hast doch selbst mal geraucht“, hatte er erwidert. „Und bin froh, daß ich's nicht mehr tue.“ L. war Nichtraucher geblieben. Aber ich hatte wenige Wochen wieder angefangen.

„Ich geh mit den Rauchern in die Pause“, sagte ich. Ich konnte ihm noch immer nicht in die Augen blicken. „Da krieg ich den ganzen Rauch ab.“ Ich wußte, ich hatte bereits verloren. L. seufzte. „Und dabei kaust du natürlich nur Kaugummi.“ Und nach einer Pause: „Denkst du, ich merk das nicht? Deine Klamotten riechen nach Rauch, deine Haare, deine Hände. Und wenn ich dich küsse …“

Ich starrte auf meine Finger und flüsterte gequält ein „tut mir leid“. Er zog die Augenbrauen hoch, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Dafür schuldest du mir was.“ Was ich ihm schuldete, ließ er offen. Das war vor einem halben Jahr. Schuldig fühle ich mich noch immer.




Dienstag, 1. Dezember 2009
Heute ausnahmsweise einmal keine mittleren Gefühlskatastrophen. Viel Blickkontakt, viele Gespräche, wenige Zigaretten. „Du rauchst viel zu viel, das tut dir nicht gut“, schimpfte er. Er nahm sie mir aus dem Mund und rauchte sie selbst zuende. Es ist albern, aber ich fühlte mich gut dabei.

Jetzt liege ich auf dem Bauch und warte auf zwei Hände, die mich gleich sanft in den Schlaf massieren werden. Gute Nacht.




„Such dir doch einen Job hier in der Gegend“, meinte er. „Dort gibt's auch ganz schöne Wohnungen.“ Ich funkelte ihn aus den Augenwinkeln an. „Klar, soweit kommt's noch, daß ich dir hinterherlaufe.“ Wir lachten. Es war ein seltsames Lachen, denn eigentlich war mir nicht zum Lachen zumute; trotzdem war es ehrlich.

Er umarmte mich noch einmal. „Alles wird gut“, flüsterte er mir ins Ohr. Du Schwätzer, dachte ich, gar nichts wird gut. Aber was kann ich machen? Ich genoß die Sekunden in seinen Armen. Für einen winzigen Moment fühlte ich mich sicher.

„Wir sehen uns morgen.“ Mit diesen Worten ließ er mich los, und wir verabschiedeten uns. Ich drehte mich zu meiner Autotür um und suchte den Schlüssel in meiner Handtasche. Er kam nochmal zurück und gab mir einen Klaps auf den Hintern. „Hey“, protestierte ich. „Schlaf gut“, lachte er. Seine Macho-Allüren werde ich auch vermissen.

Als ich zuhause war, rief L. gerade an. „Du klingst nicht gut, soll ich vorbeikommen?“ Sollte ich ihn wirklich herbitten? Wenn er meine verweinten Augen sähe, würde er Fragen stellen, und das Theater vom Wochenende ginge wieder los. Trotzdem sagte ich ja. Dann mußte ich mich eben zusammenreißen. „Ich bin noch unterwegs, wird bißchen später, aber ich komme.“

Während ich auf ihn wartete, würgte ich ein Stück Brot mit Gurke herunter. Der Appetit war mir vergangen. S. war nicht zuhause, A. auch nicht. Es wurde zehn. Ich war müde von der Anspannung und vom Heulen. Das Notebook klappte ich zu, zog mich aus und legte mich ins Bett. Ich konnte nicht länger warten.

Mitten in der Nacht schreckte ich kurz aus dem Schlaf. Als ich neben mich griff, spürte ich L.s Körper. Er war also doch noch gekommen. Beruhigt schlief ich wieder ein. Alles wird gut.




Montag, 30. November 2009
„Ich werde dieses Unternehmen verlassen.“ Heute gab er es offiziell in der ganzen Abteilung bekannt. Ich saß neben ihm, während er der großen Runde das Wann und Warum erklärte, und biß mir auf die Lippen, um die Tränen zu unterdrücken. Er schien es zu bemerken, denn als er sich den Fragen der Kollegen stellte, ergriff er unter dem Tisch meine Hand – wohl um mich zu beruhigen, doch es bewirkte gerade das Gegenteil.

Nach der Ankündigung verzogen wir uns direkt ins Raucherzimmer, wo ich mich nicht länger beherrschen konnte. Er zog sanft meinen Kopf an seine Schulter und ließ mich dort ausweinen, während seine Finger durch meine Haare und über meinen Nacken strichen. Als ich mich wieder beruhigt hatte, nahm er eine Zigarette, steckte sie mir in den Mund und zündete sie an.

„Hilft doch nichts, Chantal. Es tut mir ja leid, dich hier unter den Verrückten allein zu lassen. Aber es ist nicht zu ändern.“ Ich nickte stumm, denn sprechen konnte ich nicht. Ich muß es akzeptieren. Es ist nicht mein Leben, wonach sich seine Entscheidung richtete, sondern seines.

Warum? Warum jetzt? Warum so früh?, wollte ich fragen. Es hatte doch gerade erst begonnen, und nun hieß es bereits, Abschied zu nehmen. Nur noch ein paar Wochen, und dabei hatte ich noch so viel mit ihm tun wollen. So schön hatte ich es mir vorgestellt. Langsam und behutsam, sich Stück für Stück näher kommen, zusammen der gnadenlos nüchternen Wirklichkeit entfliehen und uns eine kleine Gefühls-Oase bauen.

Doch das sind nicht unsere, nicht seine Träume; es sind meine. Und wie es so ist mit einseitigen Träumen: Sie platzen so leicht, und dann wird man schmerzhaft wieder auf den Boden der Realität prallen.